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Kurde und „mölmsche Junge zu gleich“

  In der Türkei fand Ulas Bozdag (38) keine Akzeptanz. In jungen Jahren kam er nach Mülheim. Jetzt ist er selbstständig und leitet eine Pizzeria

Ulas Bozdag träumt noch heute oft von seiner Heimatstadt Dêrsim, davon wie seine Großmutter ihn auf einem bunten Blumenbeet empfing. Und von dem Geruch frischer Butter, die sie gerade aus selbst gemolkener Milch gemacht hatte.

„Das war die schönste Zeit in meinem Leben“, sagt der Kurde heute. Aber als er seine Heimat mit zehn Jahren verlassen musste, weil sein Vater eine bessere Arbeit in der Stadt finden wollte, wurde es schattiger in seiner Kindheit. Bozdag kam mit seiner Familie in die osttürkische Großstadt Elaziz. Kurden waren hier nicht erwünscht, und er kannte kein Wort Türkisch. „Von den Lehrern gab es deswegen oft Prügel“, erinnert er sich, etwa wenn Bozdag als einziger nicht die Nationalhymne mitsingen konnte. Ihre Kultur konnten Bozdag und seine Familie nicht mehr ausleben. Ihre Sprache war ein Tabu. „Wir verbuddelten kurdische Kassetten im Boden“, erinnert er sich.

In Elaziz blieb Bozdag aber nicht lange. Sein Vater verteilte Gewerkschaftszeitschriften auf der Straße. Ein Kurde, der auch noch sozialpolitisch aktiv war? Das war der Regierung ein Dorn im Auge. Bozdags Vater musste ins Gefängnis.

Keine Perspektive für die Familie

Als er wieder frei kam, ergriff er die Flucht nach Mülheim, wo schon mehrere seiner Verwandten lebten. In der Türkei sah er keine Perspektive für sich und seine Familie. „Nach einem Jahr kamen wir dann nach“, erzählt Bozdag – er, seine Mutter und seine zwei jüngeren Schwestern.

Es war 1987. Über fünf Jahre verbrachte die Familie dann in einem Asylheim. „Es war eine schwierige Zeit“, sagt Bozdag. Als Asylsuchender fühlte er sich oft wie eingesperrt, selbst zur Beerdigung seiner Großeltern durfte er Deutschland nicht verlassen. „Dabei waren sie das Wichtigste in meinem Leben.“

Inzwischen aber betrachtet der 38-Jährige Mülheim als seine zweite Heimat. Wenn ihn jemand fragt, wo er herkommt, habe er oft keine Antwort – Mülheim oder Dêrsim? „Ich habe drei Viertel meines Lebens in Mülheim verbracht. Ich bin ein richtiger Mölmsche Jung geworden“, sagt er. „Mülheim erinnert mich auch stark an Dêrsim. Durch beide Orte fließt ein Fluss.“ In Dêrsim ist es der Munzur.

Mit den Gästen persönlich werden

Die unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhielt die Familie 1993, drei Jahre später wurden sie deutsche Staatsbürger. Ulas Bozdag stand zu dieser Zeit kurz vor seinem Abschluss in der kaufmännischen Schule. Dann ging er für ein Jahr zur Bundeswehr, sparte Geld, um zum ersten Mal zurück nach Dêrsim zu reisen. „Als ich dann auf der Brücke über dem Munzur stand, habe ich Gänsehaut bekommen“.

Seit fünf Jahren war Ulas Bozdag aber nicht mehr dort. Seit 2010 ist er selbstständig, täglich arbeitet er von neun bis 23 Uhr in seiner Pizzeria, „Bella Toscana“ an der Leineweberstraße. Dass seine Kinder (8, 11) den Laden später übernehmen, wünscht er sich nicht. Ihr Job soll sie weniger einnehmen. „Ich hatte eine schwierige Kindheit, meine Kinder sollen es immer gut haben. Ich will ihnen viel ermöglichen.“ Deswegen arbeitet er so hart.

Dass Ulas Bozdag seinen Job trotzdem mit Leidenschaft macht, merkt man an seinem Umgang mit den Gästen. Während er die Pfannen schwingt, versucht er ein offenes Ohr für jeden zu haben. „Man muss bei seinen Gästen immer persönlich werden“, ist sein Grundsatz. „Ich kenne die Sorgen von vielen.“ Er will jedem mit der Offenheit begegnen, die ihm lange verwehrt blieb, er begrüßt und verabschiedet seine multikulturelle Kundschaft mit ihren nationalen Grüßen. „Man muss mit allen Leuten offen kommunizieren“, sagt er, „das ist das beste Rezept gegen Fremdenfeindlichkeit.“

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